So ergeben korrekte Zahlen der Wissenschaft Medizin durch Framing beim Thema Ernährung und Klima eine falsche Interpretation:
„Wir müssen angesichts der Klimakrise unseren Fleischkonsum reduzieren, denn die Produktion von 1 kg Gemüse verursacht nur 0,5 kg CO2, hingegen die Produktion von 1 kg Rindfleisch 12,3 kg CO2.“ Ernährung richtig staatlich lenken – Ein Erfolgsgarant für Gesundheit, Diabetes Prävention, weniger Krebs und Gefäßerkrankungen und das Klima?
Die Zahlen stimmen. Und doch ist die Schlussfolgerung durch eine falsche Bezugsbildung falsch: Durch den Bezug pro Kilogramm ist die Rindfleischproduktion um mehr als das 20-fache klimaschädlicher als Gemüseanbau. Aber: Die richtige Bezugsgröße für Nahrung ist nicht das Gewicht, sondern der Nährgehalt. Diesen gibt man in Kalorien an. Und je nach Gemüsesorte und Fleischstück sind die Kalorien pro Kilogramm Rindfleisch um das 10 bis 30-fache höher, als die von Gemüse. Aus einem riesigen Unterschied der CO2 Belastung durch Nahrungsherstellung, wird schnell ein kleiner, wenn man den CO2 Ausstoß nicht nach Kilogramm, sondern Kalorien berechnet. Das befreit nicht von der ethischen Verpflichtung, mit aus Tieren gewonnener Nahrung achtsam umzugehen. Aus dem Skandal einer ungeheuren Umweltschädigung wird ein lösbares Problem. Vor allem dann, wenn man eine Komplettberechnung erstellt, die auch die Folgen eines reduzierten Fleischkonsums berücksichtigt:
Dazu zählen Verringerung der CO2 Verstoffwechselung von Weiden, die zu Ackerland werden, für Veganer auch der Ersatz von Milchprodukten, bis hin zur Notwendigkeit bei veganer Ernährung zur Apotheke zu fahren und dort mit viel CO2 Ausstoß hergestelltes Eisen und Vitamin B12 zu kaufen. Zudem fällt auf: Gute Interventionsstudien zur Gesundheitsschädigung eines mäßigen Fleischkonsums und gute Studien zum gesundheitlichen Nutzen (gemessen an klinisch relevanten Endpunkten, nicht Surrogat Parametern) von der Umstellung von Fleisch auf vegetarische Kost gibt es nicht! Das Fazit: Unfug wird zum Parameter für politisches Handeln und statt auf qualifizierte wissenschaftliche Beweisführung zu horchen, führt der Glaube an eine falsche Aussage (trotz korrekt errechneter Zahlen) zum Siegeszug der Dummheit.
Der Einfluss des Aktivismus auf die wissenschaftliche Leistung und Richtigkeit reicht noch weiter: In vielen Publikationen wird berichtet, dass verschiedene Formen der „gesunden Ernährung“ und Sport Demenz positiv beeinflussen. Klingt toll, die Medien berichten viel darüber. Ärzte empfehlen es ihren Patienten. Doch vergleicht man die Studien, die einen Erfolg der Ernährung und von Sport zeigen, mit denen, die keinen Erfolg bezüglich Demenz nachweisen, fällt auf: Es gibt einen Unterschied zwischen Kontrollgruppe und Therapiegruppe und damit sind die Aussagen fast aller Studien wertlos! Wenn bei Demenz die eine Gruppe alter Menschen mehrere Wochen eine intensive Zuwendung, inklusive einer Ernährungsumstellung und Bewegungstherapie erhält, die andere Gruppe jedoch nur eine einmalige Beratung, dann weiterhin alleine vor dem Fernseher sitzt, kann doch niemand sagen, dass Ernährung und Sport einen Effekt hätten. Das könnte man erst behaupten, wenn die Kontrollgruppe ein gleiches Maß an Aufmerksamkeit, doch ohne Ernährungsumstellung und Sport erhält. Die am besten kontrollierte Studie, die MIND Study, ergab auch prompt keinen (!) Effekt einer „gesunden Ernährung“ auf die Demenz. Dennoch wird in der Öffentlichkeit weiterhin behauptet, dass eine Ernährungstherapie und Sport wirksam gegen Demenz seien. Und was ist schon wirksam? Wer Zeit hat, sollte sich die Studien genau anschauen und wird bemerken, dass meist der angebliche Effekt sehr gering ist! Warum die Gutachter dies nicht bemerken, lässt sich nur durch einen Verdacht erklären: Sie arbeiten im selben Feld!
Dennoch glaubt man weiterhin an dieses angeblich gesicherte Wissen und lässt sich von p-Werten beeindrucken. Diese jedoch sind nicht geeignet die Relevanz und Effektstärke einer Therapie zu verdeutlichen. Signifikanz und Relevanz sind verschiedene Dinge.
Ein anderes Beispiel ist die Forderung nach einer „Zuckersteuer“. Viele Bürger wünschen sich diese Steuer, weil von einigen wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Parteien behauptet wird, dass eine solche Steuer Erkrankungen reduzieren könnte. Es wird behauptet, dass dadurch die Fettleibigkeit, der Diabetes und andere Erkrankungen verringert würden und Gesundheitskosten eingespart würden. Dies klingt auf den ersten Blick vernünftig, denn es gibt keinen Zweifel: Man kann sich krank essen. Doch die bisherige Erfahrung mit der Zuckersteuer in anderen Ländern ist keineswegs überzeugend positiv. Eine unabhängige Übersichtsarbeit (ein sogenannter Cochrane Review) kommt zu dem Ergebnis, dass die bisher vorliegenden Daten, zu schwach sind, um eine sichere Aussage zu tätigen.
Um die Lehre von der Gesundheitsförderung der Zuckersteuer weiterhin zu fördern, wird zu Modellierungsstudien gegriffen. In England sei angeblich ein Erfolg bei 11-jährigen Mädchen aus einigen (nicht allen) sozialen Schichten nachweisbar. Schaut man genau auf die Abbildung und liest man den Methodenteil, erkennt man, dass eine echte Vergleichsgruppe gar nicht existiert, sondern die Gewichtsabnahme nur durch Vergleich mit einer hypothetischen, aus den vergangenen Jahren vor Zuckersteuer stammenden Gewichtszunahme, nachweisbar ist. Vergleicht man jedoch die hypothetische, hochgerechnete Gewichtszunahme ohne Zuckersteuer in England mit der tatsächlichen in Deutschland ohne solch eine Steuer, erkennt man, dass die Gewichtszunahme in Deutschland viel geringer ist, als die hochgerechnete in England. Hätten die Autoren nicht eine übermäßige Gewichtszunahme herbeigerechnet, sondern die deutsche Kurve genommen, wäre der Effekt bei Mädchen weg. So schadet die Wissenschaft sich selber. Sie wird unglaubwürdig. Der Prozess der Selbstkontrolle versagt. Umso peinlicher, dass Fachgesellschaften, wie die Deutsche Diabetes Gesellschaft und andere Fachgesellschaften so dicke Scheuklappen anhaben, dass sie diese offensichtlichen Fehler nicht sehen wollen. Ein Sieg der Ideologie über die Wissenschaftlichkeit. So verspielt die Wissenschaft Medizin ihren guten Ruf!
Der Glaube an eine angeblich richtige Aussage der Wissenschaft, die in Wirklichkeit Unfug ist, verstellt den Blick auf die richtige Problemlösung: Es gibt gute Studien die beweisen, dass eine soziale Intervention, welche mehr Menschen die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht, viel effizienter Gewicht und Diabetes reduziert! Eine Zuckersteuer zu fordern, fällt einem Politiker leicht. Die sozialen Bedingungen so zu beeinflussen, dass mehr Menschen die Teilhabe an der Gesellschaft möglich ist, ist schwierig. Aktivismus mit nicht belastbaren Daten schadet der Wissenschaft und der Findung des besten Lösungsweges. Aktivismus macht Ärztinnen und Ärzte, die sich auf „Die Wissenschaft sagt uns …“ berufen, unglaubwürdig. Zu offensichtlich stecken hinter der angeblichen Wissenschaft ein Spiel mit Zahlen und keine belastbaren Daten.
Es gibt noch viele andere Fehlentwicklungen, unter anderem die Nutzung eines Schwellenwertes, ab dem ein Risiko auftritt. Hat man ihn einmal definiert, nutzt man ihn, um aus einem Schwellenwert für ein Risiko eine Erkrankung zu machen. Der Schwellenwert für Diabetes Typ 2 wurde so gelegt, dass weniger als 2% der Betroffenen einen diabetischen Spätschaden hatten. Kein Wunder, dass Diabetes Prävention und Früherkennung, ebenso wie früher einsetzende Therapie keinen relevanten Effekt auf Folgeerkrankungen (selbst nach 30 Jahren!) haben.
Die Verfälschung von erhobenen Daten durch eine Fehlinterpretation (oder bewusstes Übersehen der Unvergleichbarkeit von Gruppen) findet sich sehr häufig in Studien zum Thema „Wie bleibe ich gesund“, viel seltener bei Therapiestudien von Erkrankungen. Für praktisch tätige Ärzte eine Beruhigung: Ihr Tun ist weniger vom unsauberen Spiel mit Zahlen betroffen, weniger vom Missbrauch der korrekten Daten durch Missinterpretation betroffen, als das Sprechen und Schreiben über Gesundheitsprävention.
Die Folgen des Framings von Zahlen, des Verrutschens der korrekten Kontrolle, des Modellierens ohne zuzugeben, dass dies nur Schätzungen sind, des Vertuschens des Unterschiedes zwischen Korrelation und Kausalität, des Verrats an der Überprüfung der Qualität eines Beweises sind:
1: Wissenschaftler verraten als Aktivisten für ein Anliegen (gesunde Ernährung, Prävention) die Wissenschaft, mithin ihre Pflicht zum kritischen Reflektieren. Das „Die Wissenschaft sagt uns …“ verkommt zum unwissenschaftlich-populistischen Argument. Die innovative Fragestellung kann aufgrund der Blendung durch die eigene Meinung, nicht mehr gestellt werden.
2: Die Aktivisten im Deckmantel der Wissenschaft von der Medizin, nehmen den Politikern die Verantwortung ab. Statt Verantwortung zu übernehmen, werden Politiker die „Der Wissenschaft folgen …“ zu Handlangern von populistisch argumentierenden Pseudo-Wissenschaftlern. Die aktivistischen Wissenschaftler werden zu Erfüllungsgehilfen einer sie missbrauchenden Politik. Leidtragende sind Ärztinnen und Ärzte, sowie die Patienten.
- Diese Aktivisten zerstören das Kernelement der Qualitätskontrolle in der Wissenschaft Medizin: Sie begutachten sich gegenseitig. Es werden immer mehr Zeitschriften gegründet, die nur ein Spezial-Thema zum Gegenstand haben. So wird sichergestellt, dass nichts publiziert wird, was der Bedeutung der Gruppe widerspricht. Aus Wissenschaft wird Dummheit. Statt Szientismus (Glaube an die Korrektheit und Regelkraft der Wissenschaft) herrscht Petulantismus (Petulantia = Dummheit).
4: Die kritische Stimme der Wissenschaftler entfällt. Das erhöht die Durchsetzungsfähigkeit der nicht mehr durch kritische Wissenschaftler und Presse kontrollierten Politiker. Für die Kontrolle des politischen Handelns ist dies so desaströs, wie der Wegfall einer kritisch überprüfenden und hinterfragenden Presse. Die Nähe zur Wahrheit ist nicht mehr die Leitplanke für die politische Kompromissfindung, nicht nur in der Gesundheitspolitik. Fakten Checks helfen nichts, denn die geben allzu oft nur die vorherrschende Meinung wieder. Es hilft nur das genaue Lesen der Studien – einschließlich des Methodenteils.
5: Politikverdrossenheit und „Wutbürger“ schießen ebenso aus dem Boden, wie „Leugner“ von allem, was gerade brennend wichtig ist. Populismus und Fake News sind Tür und Tor geöffnet. „Alternative Heilmethoden“ werden zur ernstzunehmenden Konkurrenz eines durch Evidenz gesicherten ärztlichen Handelns. Eine Gesellschaft verliert die Zukunftsfähigkeit, wenn sie nicht mehr in der Lage ist, ihre Begründungen für Handlungen und Einstellungen ehrlich und ergebnisoffen zu überprüfen.
- Verlust der Belastbarkeit der Interpretation wissenschaftlicher Daten und der Missbrauch wissenschaftlicher Aussagen von jeweils einem singulären Interesse zugeordneten Aktivisten, führt zu einer immer weiter gehenden Zergliederung der Medizin in identitäre Interessensvertreter. So wird es unmöglich, eine Gemeinschaft zu entwickeln. In einer mittels dieser Mechanismen zergliederten Gesellschaft müssen Meinungen unversöhnlich aufeinanderprallen. Eine vernünftige Gesundheitspolitik muss an diesen Interessenskonflikten scheitern.
Während die Einen in Panik erstarren und willig jedem die Hand reichen, der mit ihnen Geld verdient und ihre Ängste lindert, nutzen Andere deren Angst, um ihren Mitbürgern zu sagen, wie sie sich zu verhalten haben. Es gibt viele Profiteure (einschließlich einiger Buchverlage!) einer falsch interpretierten und missbrauchten Wissenschaft. Die großen Looser sind die Evidenz-basierte-Medizin, das Ansehen der Ärztinnen und Ärzte und die Patienten.
Aber, wie der nächste Teil dieser Serie zeigen wird: Es gibt Lösungswege!