These 1: Ein Wunsch, den die Mehrheit der Menschen teilt, ist nur ein Traum, geprägt vom Verlangen das zu haben, über das man nicht verfügt, egal ob es einem schadet oder nutzt.
These 2: Ein Wunsch, den die Mehrheit der Menschen teilt, entsteht auf der Basis eines instinktiven Wissens um das was für Menschen und ihr Zusammenleben in mehrerlei Hinsicht gut ist.
Umfrageergebnisse helfen zu erkennen, dass These 1 falsch ist. Seit vielen Jahren sind die üblichen Umfragen am Jahresende ohne größere Überraschung. Unvernünftige Wünsche stehen nicht oben auf der Liste, also nicht das schnelle Sportauto oder der lebenslange Urlaub. An erster Stelle steht in allen Umfragen die Gesundheit, gefolgt von finanzieller Sicherheit und dem Thema Familie/Kinder und gute Freunde. Dann kommen Themen wie Arbeit, Freizeit, Urlaub, doch im Vergleich dazu spielen Sport oder das Erreichen von Zielen eine untergeordnete Rolle (1). Ein ähnliches Ergebnis wird erreicht, wenn nicht nach Wünschen, sondern Träumen der Deutschen gefragt wird. Eine Umfrage des Spiegels nach den drei Wünschen die Deutsche einer Fee mitgeben würden, ergab als Spitzenreiter die Gesundheit, finanzielle Sicherheit und Glück in der Familie (2). Andere Umfragen helfen diese allgemeinen Kategorien etwas zu präzisieren indem das Wohneigentum genannt wird, beim Thema Familie und Freunde auf gute Beziehungen zu anderen Menschen und bei der Präzisierung der Lebensumstände auf die Bedeutung der Freiheit hingewiesen wird (3,4). Interessant nicht nur die Konstanz dieser Wünsche, Träume und Werte über die Jahre, sondern auch dass eine 2018 veröffentlichte Umfrage unter SPD-Mitgliedern mit Themen wie bürgerfreundlicher Staat, Wohlstand, Wachstum, Wertschöpfung und Demokratie Antworten ergab, die gut den oben genannten Werten und Wünschen zuzuordnen sind (5). Letztlich Ähnliches, nur andere Umschreibungen nutzend, kam bei der kürzlichen Befragung der CDU-Mitglieder heraus: Freiheit und Schutz der Menschenwürde, Respekt, Anstand, Fairness und innere Sicherheit (6,7). Quer über Parteien und Altersgruppen sind dies alles Wünsche, denen man das Prädikat sinnvoll, klug und für eine Gesellschaft nützlich zuteilen kann. Dies lässt die Vermutung zu, dass es für ernst gemeinte Wünsche und Träume einen inneren Kompass gibt, eine innere Uhr, die es ermöglicht die Themen zu wählen, die zu wählen klug und nützlich ist. Da bei allen Umfragen der Gesundheit die größte Bedeutung zugesprochen wird, stellt sich die Frage: Kann es sein, dass das innerste Wissen um die Gesundheit dazu führt, dass die die anderen geäußerten Wünsche in Bezug zu Gesundheit stehen? Wählen die Befragten beispielsweise Wohlstand, Familie und Freundschaften, weil diese lebensverlängernd und gesund sind? Was gibt die Studienlage her?
Wohlstand ist auch innerhalb eines Landes ein guter Prädiktor für die Lebensspanne (8): Die Lebenserwartung für Frauen in dem höchsten 1% des Einkommens betrug 86,4 Jahre und war 8,4 Jahre länger als die im niedrigsten 1% des Einkommens. Ein ähnliches Bild für Männer, nur dass hier der Unterschied der Lebenserwartung zwischen dem höchsten und dem niedrigsten 1% des Einkommens 13,8 Jahre betrug. Die Schere zwischen arm und reich wurde in Norwegen in der Zeit von 2005 bis 2015 größer. Ähnliche Daten berichten die Autoren aus den USA.
Das erreichte Bildungsniveau ist nicht nur ein Prädiktor für das spätere Einkommen, finanzielle Sicherheit, berufliche Chancen und Zufriedenheit, sondern auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (9): In Dänemark war das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung 62% höher für Männer und 66% höher für Frauen mit einem niedrigen Bildungsniveau.
Der Sinn des Lebens („purpose of life“) ist ebenso ein Faktor, der mit Mortalität und Erkrankung korreliert (10): Bei über 50-jährigen Amerikanern mit den niedrigsten Werten der Selbsteinschätzung des Lebenssinns war die Gesamtsterblichkeit 243% höher, als bei denen mit den höchsten Werten. Zukünftige Studien müssen zeigen, in wieweit dieser Parameter der Sinnstiftung mit Bildung, Einkommen und sozialen Beziehungen im Zusammenhang steht.
Etliche Studien weisen auf die Bedeutung einer anderen psychischen Konstitution hin, den Optimismus (11): Je höher der Grad an Optimismus, desto länger das Leben war das Ergebnis einer Analyse aus zwei Kohorten (Nurse Health Study und Veterans Affairs Normative Aging Study). Bei Frauen in der höchsten im Vergleich zur niedrigsten Quartile machte der Unterschied 14,9% der Lebensspanne aus, auch nachdem für unterschiedliche Lebensweisen adjustiert wurde. Natürlich stehen Optimismus und sinngebendes Leben in einer Beziehung zu Bildung, Einkommen, aber auch Depression und Erkrankungen. Andere Studien zeigten, dass psychosozialer Stress ein dem Diabetes vergleichbar wichtiger Prädiktor von Erkrankungen ist.
Der vielfach geäußerte Wunsch nach einem Haus „im Grünen“, Symbol von Eigentum, Folge von Bildung und sozialem Aufstieg, passt gut zu der Erkenntnis, dass psychiatrische Erkrankungen in Städten häufiger als auf dem Land sind. In Städten (gezeigt in Leipzig) ist die Notwendigkeit einer psychiatrischen Medikation dort geringer, wo mehr Bäume vorhanden sind. Zu dem Thema gibt es viele Studien, bis hin zu Studien die zeigen, dass man psychische Erkrankungen durch Kontakt zur Natur verbessern kann. Hier soll auf eine Studie aufmerksam gemacht werden, die den Effekt der Natur auf Hirnaktivitäten untersuchte (12): Exposition zur Natur verminderte die durch negative Emotionen ausgelöste Aktivierung des präfrontalen Gehirnanteils, verringerte also die Reaktion auf einen Stressmoment.
Großen Niederschlag in der Presse fand eine Untersuchung aus den USA, in der über 75 Jahre hinweg untersucht wurde, was Menschen glücklich macht (13). Das Wichtigste war nicht Sport oder gesunde Ernährung, sondern gute zwischenmenschliche Beziehungen, wobei weniger die Quantität, als die Qualität der Beziehung wichtig war. Passend dazu ergab eine Studie aus Dänemark, dass das Todesrisiko bei Patienten mit einer Herzerkrankung erhöht war, wenn sie sich einsam fühlten (14), bei Frauen um 292%, bei Männern um 214% .
Alle hier aufgeführten Parameter kommen zu Risikobeschreibungen, die deutlich stärker ausgeprägt sind, als das was üblicherweise bei anderen Faktoren des „gesunden Lebensstils“ wie Sport, Gewicht, Ernährung beschrieben wird. Das legt nahe, dass die hier erwähnten Faktoren wichtiger für Erkrankungen sind, als die sonst üblichen Lebensstilfaktoren. Daher sollte der Handlungsdruck für Parteien bei diesen Themen größer sein, als beispielsweise für die Einführung einer Zuckersteuer.
Diese Studien haben aber, trotz der im Vergleich zu den klassischen „Risikofaktoren“ beeindruckend hohen Vorhersagekraft für Erkrankungen, einen Nachteil: Es sind nur Korrelationen beschreibende Beobachtungsstudien. Aber auch die Studien zu Sport und Ernährung sind größtenteils nur Beobachtungsstudien. In Beobachtungsstudien werden zwei Gruppen miteinander verglichen. Das erste Problem dieser Studien ist, dass sie nur selten in der Lage sind, die Gruppen mit allen bekannten Risikofaktoren anzugleichen, d.h. vergleichbar zu machen. Daher können durch das Design bedingt, diese Studien anhand der Korrelationen nur Hypothesen aufstellen, aber keine Ursache-Wirkungsbeziehung beschreiben. Das ist die große Schwäche nicht nur der hier vorgestellten Studien, sondern auch des ganzen Themas Ernährung und Sport. Dennoch wird dieses Studien Design anerkannt und findet Eingang in Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften und politische Programme. Die Studienart, die nicht Korrelationen beschreibt, sondern Kausalität nachweist, ist die Interventionsstudie.
Es gibt für die hier vorgestellten psychosozialen Faktoren auch eine Kausalität nachweisende Interventionsstudie (15): In diesem Experiment einer von 1994-1998 dauernden sozialen Intervention wurden sehr arme Frauen mit Kindern in drei Gruppen eingeteilt. Die eine Gruppe erhielt einen Gutschein in eine bessere Wohngegend zu ziehen, die zweite Gruppe erhielt die üblichen Gutscheine für eine Sozialwohnung und die dritte Gruppe erhielt keines von beiden. Dieses Studiendesign erlaubt demnach Rückschlüsse auf eine Ursache-Wirkungsbeziehung. Am Ende der sozialen Intervention hatten die Frauen, welche in die bessere Wohngegend gezogen waren, ein niedrigeres Körpergewicht und einen niedrigeren Blutzuckerlangzeitwert, als die anderen beiden Gruppen. Vergleicht man den Effekt dieser sozialen Intervention mit dem Effekt von Lebensstilprogrammen, wie Schulungen, dann ist der Effekt der sozialen Intervention deutlich größer, als der von Beratungen, Schulungen, Zuckersteuer etc. Ist das nicht humane Sozialpolitik, zudem wirksamer als Zwang und Belehrung?
Zusammenfassend:
Die Wünsche und Träume der befragten Menschen ergeben einen Anhalt dafür, dass der Mensch klüger und vernünftiger ist, als er immer wieder hingestellt ist. Die meisten Wünsche und Träume zeigen einen Bezug zu einer besseren Gesundheit. Besteht daher nicht aller Grund, anzunehmen, dass eine freiheitliche Gestaltung des Lebens für die meisten Menschen sinnvoll ist? Für die Politiker bedeutet dies, dass „dem Volk aufs Maul zu schauen“ keine schlechte Idee für ein Parteiprogramm ist. Wäre ein Parteiprogramm bestehend auf Festlegung weniger von menschlichen Wünschen abgeleiteter Handlungsfelder und der Erklärung der dazu passenden Lösungsvorschläge ein Rezept gegen Politikverdrossenheit?
- https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/umfage-gfk-wuensche-der-deutschen-von-guter-fee-a-1022735.html
- https://www.bonsal-research.com/pressemeldungen/werteinex-groesste-social-meida-studie-zumgesellschaftlichen-wandel-heute veröffentlicht (7.4.2022)
- https://ww.business-on.de/hamburg/werteindex-neu-erschienen-wie deutschland-denkt-und fuehlt.html
- https://vorwaerts.de/artikel/spd-mitglieder-wuenschen-sicherheit-soziale -teilhabe
- https://www.tagesschau.de/inland/merz-cdu-mitgliederumfrage-101.html
- https://www.fr.de/politik/cdu-grundsatzprogramm-merz-rente-wohnen-energieversorgung-fachkräfte-bundestagswahl-zr-92215832
- Kinge JM et al, JAMA 2019;321:1916-1925
- Framke E et al, Eur. Heart Journal 2019; 0:1-16
- Alimujiang A et al, JAMA 2019; 2(5):e194270
- Lee LO et al, PNAS.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1900712116
- Tost H et al Nature Neurosci. 2019;22:1389-1393
- https://www.stern.de/lifestyle/leben/harvard-professor-verraet-das-geheimnis-eones glücklichen-lebens-30546692.html
- Christensen AV et al Heart, 2019 doi 1136/heartjnl-2019-315460
- Ludwig J et al The New Engl. J. Medicine 2011;365:1509-1519.